16. Dezember 2019

Expertentalk: Baukybernetik als Erfolgsfaktor für Bauprojekte

 

Damit trotz Störungen Bauprojekte im geplanten Zeit- und Kostenrahmen bleiben, ist die Baukybernetik eine bewährte Methode im Baumanagement – zeigten Experten der Baukybernetik bei der Campus Lecture am 29. November.

Campus Lecture Baukybenetik, links Vortragender Otto Greiner, Hans Steiner © FH Campus Wien

„Die Störung ist der Regelfall“ – der provokante Titel einer Campus Lecture des Departments Bauen und Gestalten an der FH Campus Wien Ende November bezog sich auf unvorhersehbare Einflüsse bei Bauprojekten. Wie Methoden der Baukybernetik gegensteuern und als Erfolgsfaktoren wirken, zeigten die Fachexperten Otto Greiner, Hans Steiner, Josef Mahlknecht und Ernst Morgenbesser anhand von Best Practice-Beispielen.

Der Blick aufs Ganze

Bauprojekte werden immer komplexer und stellen hohe Anforderungen: Aufgabenstellung und spezifische Wünsche der Auftraggeber*innen, Nachhaltigkeit, Kosten sowie Zeitfaktoren sind zu berücksichtigen und mit einem hohen Maß an unbekannten Aspekten ist zu rechnen. Die Modelle, Strategien und Werkzeuge der Baukybernetik helfen bei einer systemischen Betrachtung und schulen den Blick aufs Ganze, damit Bauen in und mit Komplexität funktionieren kann.

Das Richtige tun

Otto Greiner, Präsident des Europäischen Forums für Baukybernetik, definierte Baukybernetik als zielsichere Methode, um zu steuern, was nicht berechnet werden kann. Er fokussierte in seinem Vortrag das Terminmanagement und rät, ausreichend Reservezeiten zu schaffen, die maximal mögliche Produktivität für Handwerksbetriebe sicherzustellen und diese auch im Vertrag mit den Handwerksunternehmen zu vereinbaren. Zudem befürwortete Greiner flexible Terminvereinbarungen, die dann rund sechs Wochen vor der Leistung erst fixiert werden – dadurch könne viel Zeit gespart werden. Ein laufender Soll–Ist-Vergleich mache Defizite sofort sichtbar, sodass rasch Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Bei fast allen von Greiner umgesetzten Bauprojekten konnte das Terminziel deutlich unterschritten werden. „Jeder Monat, der die geplante Bauzeit unterschreitet, bringt dem Bauherren Einsparungen bei den Finanzierungskosten,“ fasste Greiner den großen Vorteil der baukybernetischen Baumanagementmethoden zusammen.

Baukybernetik = digitale Praxis des Funktionierens

„Die Komplexität ist ein Faktum in der Baubranche, sie bedeutet aber auch Vielfalt und ist eine Chance“, so Hans Steiner, Vizepräsident des Europäischen Forums für Baukybernetik. Für ihn bedeutet Baukybernetik praktisch angewendet, zu strukturieren, steuern und regulieren. Steiner stellte diese auch in Bezug zur Digitalisierung und bezeichnete Baukybernetik als digitale Praxis des Funktionierens. Für den Erfolg eines Bauprojekts – wie etwa dem 2013 eröffneten Turm am Kärntner Pyramidenkogel, dem höchsten Holz-Aussichtsturm der Welt – sei aber das Zusammenspiel mehrerer Baumanagement-Ansätze ausschlaggebend: Klassische Methoden, also das klare Vertragswerk auf Basis guter Planung, und kybernetische, die nicht berechenbare Größen steuern, sowie höhere, komplementäre Strategien ergänzen einander.

Bio-Kybernetik in der Baukybernetik

Die Anwendung von biokybernetischen Regeln in der Baukybernetik verglich Josef Mahlknecht, langjähriger Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Baukybernetik, mit der Bezugs- und Arbeitsweise menschlicher Zellen. Dabei stellte er die vier Methoden Papiercomputer, Regelkreis, negative Rückkoppelung und Soll-Ist-Vergleich, die Frederic Vester in seinem Buch „Ballungsgebiete in der Krise“ beschrieben hat, in direkten Bezug zur zielgerichteten Baukybernetik. Für die Zukunft ist sich Mahlknecht sicher, dass die derzeit aktuelle Building Information Modeling-Methode der vernetzten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden mithilfe von Software nur bis 2035 anhalten werde. „BIM wird abgelöst durch Künstliche Intelligenz und irgendwann wird diese mit menschlichem Bewusstsein ausgestattet sein.“

Gesamtnutzen steht im Vordergrund

Mit der Fliegerwerft 2 in Zeltweg oder der Privatklinik Graz-Ragnitz präsentierte Ernst Morgenbesser beeindruckende Bauprojekt-Beispiele aus der Perspektive als Bauherr. Er zeichnet auch für die Realisierung der Uniqa Konzernzentrale in Wien, dem Uniqa Tower, verantwortlich. Dieser konnte dank baukybernetischem Baumanagement in einer Bauzeit von 33 Monaten und günstiger als budgetiert um 70 Millionen Euro verwirklicht werden und war das erste Green Building-zertifizierte Bürogebäude Österreichs. Vier unterschiedliche Fassaden und weitere innovative Elemente machten den Bau des Jean Nouvel Towers in der Wiener Praterstraße herausfordernd, der als weiteres Leuchtprojekt der Baukybernetik gilt. „Jede Baustelle ist ein dynamisches System. Die Baukybernetik schärft dabei den Blick aufs Ganze, sodass im Idealfall der Gesamtnutzen eines Bauprojekts gelungene Realität wird,“ resümiert Ernst Morgenbesser.

Bauen und Gestalten